Exposé #22: Nue Paris

Sträuße mit Emotionen und Gefühl

Claire Boreau will nichts lieber, als einfach nur Floristin sein. Frühmorgens verhandelt sie in Les Halles de Rungis über den Preis der schönsten Blumen, die sie anschließend in ihrem Studio zu Sträußen für sich und große Modemarken wie Kenzo, Vogue und Chanel zusammenstellt. Viele sehen Claire als Künstlerin, doch sie ist bescheiden und nüchtern. „Meine Arbeit ist wichtig, aber nicht so wichtig wie die eines Künstlers. Ich übe ein Handwerk aus und möchte vor allem schöne Blumenarrangements gestalten.“

MIT LIEBE ZUM HANDWERK

Claires Arbeit ist innovativ, beeindruckend und hat einen ausdrucksstarken, individuellen Charakter. Viele Menschen betrachten sie deshalb nicht nur als Floristin, sondern auch als florale Künstlerin. Claire selbst hat wenig Verständnis für diese Charakterisierung. Sie betrachtet Musiker, Dichter und Maler als Künstler, keine hart arbeitende Floristin, die versucht, ihre Sache gut zu machen. Diese sachliche und tatkräftige Mentalität verdankt sie ihrer Familie, die seit Generationen im Metzgerhandwerk tätig ist: „Ich habe als Jugendliche in der Metzgerei meiner Eltern gearbeitet. Da habe ich gelernt, was harte Arbeit und Durchhaltevermögen ist und wie viel Spaß der Kontakt mit den Kunden macht. Gleichzeitig habe ich eine Leidenschaft für Literatur und Poesie mit auf den Weg bekommen, denn meine Familie ist davon völlig besessen. Mein Großvater wurde sogar der „Metzger-Dichter“ genannt. Diese beiden Einflüsse haben mir beigebracht, sowohl die schuftende Arbeiterklasse als auch die Künstler und Sammler aus dem Vorort zu respektieren.“

EIN KUNSTWERK AUS BLUMEN

„Aber ich verstehe schon, warum die Leute Floristen zunehmend auch als Künstler sehen“, sagt Claire. „Seit dem Aufkommen von Social Media haben Floristen viel mehr Möglichkeiten sich auszudrücken und zu zeigen, was sie eigentlich machen. Die Welt der Floristen ist viel präsenter geworden, und die Floristen scheinen sich dadurch mehr und mehr damit zu beschäftigen, wie ihre Kunstwerke auf einem Foto aussehen. Das mache ich selbst auch. Ich glaube nicht, dass es mehr Floristen gibt als früher. Vielmehr realisieren auch andere Menschen, dass Blumen mit all ihren Farben, Formen und Texturen nicht nur in einer Vase schön aussehen, sondern auch Material für ein Kunstwerk sein können. So gesehen ähneln Floristen in der Tat immer mehr den Künstlern.“

EMOTIONALE STRÄUSSE

Jeder Strauß ist einzigartig. Bei der Komposition lässt sich Claire von Emotionen, Gedichten und Musik leiten. Wenn sie wütend und unruhig ist, hört sie Songs mit komplexen Texten und gestaltet ruppige Sträuße in intensiven Farben. Ist sie fröhlich und entspannt, entstehen romantische Sträuße, die zusammen mit Jazzklängen oder leidenschaftlichen Gedichten entstanden sind. „Beim Gestalten meiner Sträuße höre ich Musik oder Poesie, die zu meinen augenblicklichen Gefühlen passt. So durchlebe ich meine Emotionen aufs Neue und versetze mich in einen Geisteszustand, in dem ich neue Arbeiten kreieren kann. Normalerweise weiß ich nicht im Voraus, was ich machen werde, aber wenn ich mich ganz von meinen Gefühlen leiten lasse, entstehen die Sträuße wie von selbst.“

Ich bin mit dem Herzen bei der Arbeit und glaube, dass meine Sträuße dann von selbst entstehen.

FASZINIERT VON BLUMEN

Claire hat erst in einem späteren Alter Blumen ins Herz geschlossen. Es ist einer Nachbarin zu verdanken, dass sich bei Claire die Liebe zu Blumen und Pflanzen entwickelte: „Ich habe zwei Jahre in Rom gelebt und gearbeitet und meine Hippie-Nachbarin bat mich, ihren Garten zu pflegen. Da ich fast nichts über Pflanzen und Blumen wusste, hat sie mir alle Grundtechniken beigebracht. Ich habe mich in alles verliebt, was mit Blumen zu tun hat und war davon fasziniert wie Blumen wachsen und Verbindungen zueinander eingehen. Plötzlich wurde mir klar, dass ich nichts lieber tat, als mit Blumen zu arbeiten. Ich wollte nie wieder hinter einem Schreibtisch oder einem Bildschirm sitzen, ich musste und würde eine Arbeit finden, bei der ich meine Hände benutzen und meine Liebe zu Blumen ausdrücken könnte. Das Florist sein ist mir dabei als die perfekte Verbindung von Handwerk, Ästhetik und Poesie erschienen.“

Ich musste eine Arbeit finden, bei der ich meine Hände benutzen und meine Liebe zu Blumen ausdrücken könnte.

FREI SEIN

Claire macht ihren Abschluss und fand sofort einen Job als Floristin in Paris. Doch kurz bevor sie dort anfing, verstarb unerwartet ihr Bruder. Dies berührte sie und ihre Familie zutiefst. Claire beschloss ihren neuen Job nicht anzutreten, sondern ihr eigenes Blumengeschäft Nue Paris im alten Malatelier ihres Großvaters einzurichten: „Das war ein schwieriger und magischer Moment zugleich. Der Tod meines Bruders ließ mich erkennen, dass das Leben sehr kurz sein kann. Die Empfindung, dass ich deshalb das Beste aus meinem eigenen Leben machen muss, war sehr stark. Ich würde diesen Drang mich selbst auszudrücken nicht ausleben können, wenn ich für jemand anderen arbeiten würde. Ich musste frei sein. Mit Nue Paris ist das möglich. Nue bedeutet „nackt“ und ist eine Art zu sagen: Ich bin, wie ich bin. Einfach ich selbst.“

Nue ist eine Art zu sagen: Ich bin, wie ich bin. Einfach ich selbst.

MEHR GESCHICHTEN

Willst du noch andere Geschichten über die neuen Generation Pariser Floristen hören? Dann lies auch das Interview mit Jefferson Fouquet.